Rauswurf aus dem Bus

Ich beginne diese Kolumne mit einer Geschichte, die ich vor Kurzem miterleben durfte. Dabei war ich lediglich eine stille Beobachterin. An einem Samstagabend waren eine Freundin von mir und ich auf dem Nachhauseweg von einem Barbesuch. Es war noch nicht wirklich spät. Vielleicht etwa 23 Uhr. Wir warteten auf den Bus. Pünktlich hielt dieser wenige Minuten später an seinem vorgesehenen Platz und wir und ein paar wenige andere Leute stiegen ein. Meine Kollegin und ich platzierten uns gleich neben der Türe. Kurz bevor der Bus losfuhr, öffneten sich die Türen erneut und zwei Herren mittleren Alters stiegen dazu. Die Fahne der beiden erreichte mich, noch bevor sie sich vollständig im Inneren des Busses befanden. Zu allem Überfluss hatte der eine noch ein Sixpack Bier unter dem Arm eingeklemmt und der andere knabberte mit leerem Blick an einem Sandwich herum.
Vorbildlich machten sich die beiden dran, sich ein Busticket zu lösen. Dafür holten sie nacheinander ihr Smartphone heraus und wollten den QR-Code an der Scheibe einscannen. Die Betonung liegt auf «wollten», denn etwas schien nicht zu funktionieren. «Huara Schiisdreck», murmelte der Mann mit seinem «Iiklemmta» in der einen und dem Smartphone in der anderen Hand. «Will’s nit?», fragte sein Kollege und warf ihm einen fragenden Blick zu, wobei er ein wenig schielte. Gleichzeitig fiel ihm sein Sixpack auf den Boden, welches er unter unschönen Beschimpfungen wieder aufhob. «Nei, as tuat eifach nit!», jammerte der Mann mit dem Sandwich. «Lohn mi amol dra», meinte der andere und versuchte, den QR-Code zu scannen. Doch auch bei ihm schien der Wurm drin zu sein, denn er rümpfte genervt die Nase und zuckte anschliessend mit den Schultern. «Huara liab vu dem Bus – miar töffen gratis fahra», nuschelte er und lehnte sich an die Scheibe.
Meine Kollegin stupste mich in die Seite und als ich ihren Gesichtsausdruck sah, musste ich grinsen. Sie fuchtelte mit der Hand vor dem Gesicht herum, wie um zu sagen: «Die haben sie doch nicht mehr alle.» Ich sah mich im Bus um. Er war leer – die beiden Männer voll. Der eine mit dem «Iiklemmta» gab nicht auf und murmelte mit vollem Mund irgendwelche wüsten Sachen vor sich hin, während er den QR-Code wieder und wieder versuchte einzuscannen. Doch es gelang ihm einfach nicht.
Der Busfahrer, der seinen fahrenden Arbeitsplatz mittlerweile zielsicher durch die Stadt Chur lenkte, blickte immer wieder skeptisch in den Rückspiegel. Auch er schien zu spüren, dass hier hinten irgendwas nicht mit rechten Dingen zu- und herging. Der «Brötli-Mann» hatte nun die Schnauze voll und torkelte unbeholfen nach vorne zum Busfahrer. Dieser sprach zu ihm, ohne dabei den Blick von der Strasse zu nehmen: «Probiaren Sie’s nomol oder lönd Sie’s hocka.»
Sein Gegenüber starrte ihn entrüstet an, ehe er die Arme verwarf, dabei ein Stück von seinem Sandwich verlor, und lauter wurde. «Nei! I will do eifach nu z Richtiga macha und a Ticket lösa. Aber wenns nit goht…!» Er gestikulierte noch eine Weile weiter, ehe er von dem genervten Busfahrer abliess und wieder zu seinem Kollegen nach hinten stolperte. Dieser versuchte, ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. «Kumm eza, isch doch nit so schlimm.»
Doch sein Kollege wollte nichts davon hören. Stattdessen erklärte er den Insassen im Bus, auch mir und meiner Freundin, dass er ja nur das Richtige machen wolle. Wir nickten alle ganz brav. Keiner wollte etwas sagen, aus Angst, ihn noch mehr zu verärgern.
Ungefähr fünf Bushaltestellen später hatte der Busfahrer dann endgültig genug von dem «Gejommer» und stellte die beiden vor die Tür. «Was eza?» Der Busfahrer zog warnend eine Augenbraue hoch. «Erschtens töffen Sie do dinna gar nit essa und zweitens sind Sie beidi bsoffa. Also: usstiega eza.» Der Mann mit dem Brötli warf dem Busfahrer noch ein paar Schimpfwörter an den Kopf, ehe sein Kollege ihn grob nach draussen zerrte. Dieser hatte längst eingesehen, dass sie diesen Kampf verloren hatten. Wir anderen Fahrgäste grinsten stumm vor uns hin. «Zum Glück simmer bald dahei», sagte meine Kollegin und ich nickte ihr müde zu. Den Rest der Fahrt genossen wir alle in völliger Stille.