Ein ganz zufriedener Mensch
Die leuchtend blaue Winterjacke von Dario De Tann raschelt, als er mit schnellen Schritten über den flach gedrückten Schnee geht. «Ecco», beginnt er zu erzählen. Viele seiner Geschichten beginnen mit dem italienischen Wort. Ganz kann der Bergeller seine Sprache nicht ablegen. Und so entsteht ein charmanter Akzent, wenn er sich in Deutsch unterhält. Er zeigt mit der rechten Hand auf die weisse Fläche neben dem prächtigen Hotel «Palace» in Maloja. «Hier hat alles angefangen», erklärt er. Hier habe der erste Engadin Skimarathon gestartet. 1969, als Dario De Tann gerade einmal 22 Jahre alt war.
«945 Leute hatten sich damals angemeldet, und wir waren überrascht von der Schar an Menschen.» Der Bergeller lacht hörbar. «Jetzt scheint die Zahl lächerlich klein, damals war es Wahnsinn.» Ein paar Jahre vor dem ersten Engadiner war es Grenzwächter Hans Brunner, später übrigens der erste Startchef, der mit den Langlaufskiern auf der Hauptstrasse in Maloja unterwegs war. «Wir schauten ihm fasziniert zu und dachten uns ‘Das isch an Spinner’. Langlauf kannte man damals noch nicht, zumindest ganz sicher nicht hier», erklärt Dario De Tann. In seiner Sonnenbrille mit den blauen Gläsern spiegeln sich die Berge. «Ich war vor unserem Gespräch nochmals bei Hans Brunner und habe mich mit ihm über die Anfänge unterhalten.»
«Wohl Dario, nicht aber Cologna»
Dario De Tann
Heute, 53 Jahre nach dem Beginn eines wichtigen Stücks Schweizer Sportgeschichte, ist Dario De Tann noch immer als Freiwilliger am Skimarathon engagiert. Für ihn selbstverständlich. «Ich habe keinen einzigen Anlass verpasst – ausser natürlich die wenigen Male, als der Engadiner nicht stattfinden konnte», sagt er. Immer wieder erwähnt er im Gespräch, wie viel Respekt er vor den Startchefs habe. Vor dem Start sei die Aufregung immer sehr gross, die Erleichterung, wenn dieser wie geplant klappt, dann aber noch viel grösser.
Der Bergeller dreht sich um und zeigt auf den zugefrorenen See, auf dem auch heute Spaziergängerinnen und Langläufer unterwegs sind. «Zu Beginn konnte man nicht auf dem See starten. Wir kannten die Stärke des Eises noch nicht. Diverse Versicherungsgesellschaften hatten die Haftung abgelehnt. Zu gross war das Risiko für sie», berichtet Dario De Tann. Darum habe der erste Marathon auch am Ufer entlang geführt. «Das müssen Sie sich vorstellen. Wir mussten alles mit den Ski flachstampfen und vorspuren.» Im zweiten Jahr habe man dann auf dem See gestartet. «Niemand hatte das wirklich ausprobiert. Erst ging einer aufs Eis, dann zwei. Und bei zehn Leuten dachte man sich, dass das Eis dann wohl auch 1000 Menschen halten würde. Und es hat gehalten», sagt er lachend.
Wir gehen ein Stück und beobachten die Menschen, die sich auf der grossen, flachen Fläche vergnügen. «Der Langlaufsport hat sich rasant entwickelt. Für das Engadin war das sehr wichtig. Abgesehen vom Kurort St. Moritz lief hier nichts», erinnert sich der 75-Jährige. Die Leute kamen schnell aus der ganzen Schweiz und aus aller Welt. Der Wintertourismus wuchs, Hotels wurden gebaut. Und auch der Engadin Skimarathon gewann schnell an Zulauf. Beim 10-jährigen Jubiläum erreichten schon über 10 000 Teilnehmende das Ziel.
Dario De Tann ist wann immer möglich in der Natur unterwegs. Gerne auch auf den Langlaufski. Und auch wenn er noch immer am Funktionärenlauf teilnehme, sei er nicht am Wettkampf interessiert. «Ich heisse wohl Dario, nicht aber Cologna», witzelt er, dem immer wieder ein frecher Spruch von den Lippen kommt. Am Engadiner sei es dann auch mehr die Stimmung, die Gesellschaft, das Zusammensein, was ihm gefalle. «Es ist immer wunderbar, wenn sich die Leute unterhalten und sich freuen.» In den Jahren habe sich viel verändert, die Freude sei geblieben – seitens der Teilnehmenden aber auch seitens der Organisation und der vielen Freiwilligen. «Der Engadiner ist eine lebenslange Liebe», romantisiert der Bergeller.
«Ich bin kein Fanatiker»
Dario De Tann
«Der Skimarathon ist eine Bereicherung für das ganze Tal», ist Dario De Tann überzeugt. Und er habe Region und Talbewohnerinnen beziehungsweise -bewohner gleichermassen stark geprägt. Es sei gut und wichtig gewesen, mit Auswärtigen in Kontakt zu kommen. Ob auch ihn der Engadiner geprägt habe? «Sicherlich. Aber ich denke, die Natur ist es, was den grössten Einfluss auf mich hatte», sagt der pensionierte Wildhüter schlicht. «Ich passe mich an das an, was die Natur mir gibt. Ich bin kein Fanatiker, sondern im Grunde ein ganz zufriedener Mensch. Ich mag Gesellschaft. Ich kann zwar auch mal still sitzen, aber nicht zu lange. Dafür muss ich müde sein.»
Und müde ist der Pensionär noch lange nicht. Auch am kommenden Engadin Skimarathon, der nächstes Wochenende stattfindet, beteiligt er sich: «Ich verlege die Kabel für die Zeitmessung und achte darauf, dass sich die Leute richtig einreihen. Ich helfe mal hier, mal da.» Die Freude steht Dario De Tann ins Gesicht geschrieben. Nach zwei langen Jahren ohne Engadiner kann er es heuer kaum abwarten. «Es ist so schön, dass es nun bald wieder so weit ist. Sonst weiss ich ja gar nicht, was ich erzählen soll», meint er mit einem Augenzwinkern. Das Logo des Skimarathons, welches auf der blauen Jacke prangt, hüpft, als Dario De Tann lacht. Fast so, als würde es vor Freude tanzen. «Ecco», schliesst der Voluntari seine Erzählung ganz in Bergeller Art und Weise.